Frauengespräche

Konflikte der Generationen

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In der Vogelwelt herrscht eine klare Regel: Nach der Aufzucht des Nachwuchses helfen die Eltern ihren Kindern noch bei den ersten Flugversuchen, doch wenn sie erst einmal imstande sind, sich vollends eigenständig durch die Lüfte zu bewegen, heißt es, Abschied zu nehmen. Die Aufzucht ist vollzogen, und nun gilt es für die Kleinen, sich alleine zurechtzufinden. Was für uns Menschen recht erbarmungslos klingt, ist nichts anderes als der Lauf des Lebens. Fortan werden die Kleinen ihre Eltern – wissentlich – niemals wiedersehen.

Bekanntlich pflegen die Nachfahren des Homo Sapiens ein anderes Ritual: Ihnen ist es daran gelegen, die gegenseitigen Beziehungen so lange aufrecht zu erhalten, bis der Tod sie scheidet. Woran das liegt, ist schnell erklärt: Die Vögel folgen einzig ihren Trieben. Und wenn sie ausgewachsen sind, dann beherrschen sie exakt das, was ihre Eltern in eben diesem Alter auch konnten. Der ein oder andere ausgewachsene Vogel mag sich zwar bei der Futtersuche etwas geschickter anstellen oder sich etwas besser vor seinen Feinden schützen –, viel weiter schreitet die Entwicklung jedoch nicht voran, denn Vögel sind nun einmal Vögel.

Wir Menschen verhalten uns in diesem Zusammenhang anders. Im Normalfall bricht der Kontakt innerhalb einer Familie nicht ab, es sei denn, jemand legt es gezielt darauf an. Auf diese Weise verbleibt eine kleine Ewigkeit an Zeit, die es garantiert, dass die Älteren all ihr gesammeltes Wissen an den Nachwuchs weitergeben können. So entwickeln wir uns immer weiter. Nun sind aber die Menschen (auch die einer Familie) oftmals recht unterschiedlich in ihrem Denken, ihrem Handeln und ihrem Empfinden, so dass es zu Reibereien untereinander kommen kann. Dann versuchen viele, den Kontakt zu reduzieren. Hinzu kommt, dass bei Partnerschaften – neben den beiden eigentlichen Partnern – zwei Elternpaare zueinander finden müssen, ob sie wollen oder nicht. Von diesem Thema möchte ich Ihnen nun berichten.

Wem das Glück wohlgesonnen ist, der lebt mit seiner Familie in Freundschaft zusammen. Die Statistik besagt, dass erwachsene Kinder (in Deutschland) zu ihren Eltern im Durchschnitt einmal pro Woche Kontakt aufnehmen. Das Wort Kontakt ist dabei ohne jede Wertung hinsichtlich des eigentlichen Verhältnisses der Beziehung zueinander. Manch einer fühlt sich verpflichtet, jeden Sonntag bei den Eltern anzurufen. Ein anderer kreuzt fünfmal in der Woche dort auf, weil es so viel zu erzählen gibt. Im ersten Fall sind bereits Grenzen abgesteckt, im zweiten ist die Beziehung so aktiv wie eh und je.

Nach dem Eintritt ins Leben eines Erwachsenen, vor allem dann, wenn eine neue Familie gegründet wird, erlangen die ehemaligen Kinder nach und nach ihre Selbstständigkeit. Ohne Wenn und Aber entsteht ein Prozess der Abkopplung, selbst dann, wenn der Kontakt zueinander nach wie vor sehr intensiv ist. Unterschiedliche Ansichten prallen aufeinander, allein schon deshalb, weil sich die Zeiten geändert haben. „Bei uns hätte es so etwas nicht gegeben“, ist ein beliebter Ausspruch der Eltern, wenn der Nachwuchs – im doppelten Sinne – mal wieder über die Stränge schlägt. Solche Konfrontationen trüben die Stimmung und mit ihr mitunter auch den Wert der Beziehung, weil man fortan diese Ereignisse (die Anlass zur Kritik der Eltern geben) vor ihnen verschweigt, um einer Konfrontation aus dem Wege zu gehen. Zwei Beispiele: Susanne hat sich entschlossen, neben der Erziehung ihres kleinen Kindes wieder zweimal die Woche zu arbeiten. Die Eltern sind strikt dagegen. Susannes Argument: „Ich möchte einfach mal wieder unter Leuten sein und mich weiterentwickeln.“ Das Gegenargument der Eltern: „Gerade jetzt braucht deine Tochter deine ganze Aufmerksamkeit.“ (Bsp. 2) Der kleine Jonathan (zwei Jahre) besucht einmal in der Woche einen Englisch-Sprachkurs, der im Anschluss an den Kindergarten am späten Nachmittag stattfindet. Das Argument der Eltern: „Frühkindlicher Fremdsprachenunterricht ist für unser Kind ein Wegbereiter für die Zukunft; außerdem hat es viel Freude am Unterricht.“ Das Gegenargument der Eltern: „Ihr überfordert das Kind. Früher haben wir Fremdsprachen erst in der Schule erlernt.“ In der Folge stehen die beiden (Reiz)themen aus den zwei Beispielen nicht mehr auf der Tagesordnung, wenn ein Treffen ansteht. Die Eltern (der Kleinkinder) gehen unbeirrt ihren Weg, doch sie vermeiden es, darüber zu reden. Natürlich könnte man sich nun zusammensetzen und über alles reden. Doch meist ändert sich auch dann nichts. Also wird einfach geschwiegen.

Das Thema Schwiegermutter hat es in sich! Entweder es klappt – oder es klappt nicht. Einen Mittelweg gibt es meist nicht. Nach anfänglichen Versuchen, das Verhältnis ein wenig aufzupeppen, bleibt es dann beim Vorsatz.

Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter kann ebenso geartet sein. Das Schlimmste ist die Konfrontation: Mutter kommt für eine Woche zu Besuch. Der Inhalt des Kühlschranks wird neu geordnet, die verschmutzten Fenster werden endlich mal wieder geputzt. „In der Speisenkammer tummeln sich die Spinnen!“ bemerkt sie, und am Abend, als der Mann heimkehrt, fragt sie noch: „Kommt er immer erst gegen neun nach Hause?“ Der Kragen könnte platzen, doch gottlob tut er es nicht, denn er ist geduldig. Ebenso geduldig wie Sie auch sein sollten! Hier die wichtigsten Tipps: Wenn Ihnen der Kontakt zu Ihren Eltern/Schwiegereltern nicht so angenehm erscheint, wie er Ihnen vorschwebt, dann reduzieren Sie ihn auf ein erträgliches Minimum. Des Öfteren mal fünf Minuten lang zu telefonieren hält die Eltern auf dem aktuellen Stand der Dinge, ohne dass dieser während eines unerträglich langen Wochenendes direkt diskutiert werden muss. Es besteht also kein dringender Bedarf eines Besuches. Zwischendurch können Sie auch durchaus mal eine SMS senden oder ein Bild, das der Nachwuchs gemalt hat, per Post schicken. Solche Aufmerksamkeiten signalisieren vor allem eines: „Ihr seid uns/mir nicht gleichgültig.“

Natürlich können Sie einen Besuch nicht bis in alle Ewigkeit verschieben, ohne als Rabenkind zu gelten. Drängen die Eltern fortwährend auf ein persönliches Treffen mit Übernachtung(en), sollten Sie von Zeit zu Zeit nachgeben. Als Faustregel gilt: Alle vier bis sechs Wochen sind – moralisch gesehen – vertretbar. Und nun stehen sie in der Tür. Weil sie ohnehin wieder alles Mögliche bemäkeln werden, sollten Sie vorab einen Plan schmieden. Das ist ganz einfach. Ein Beispiel: Die Sauberkeit der Fenster ist stets ein Angriffspunkt, der Staub auf den Regalen ebenso. Die Reihe ließe sich fortsetzen. „Ich krieg‘ das einfach nicht hin. Kannst du mir nicht helfen?“ ist ein probates Mittel, die Eltern aus der Reserve zu locken. Und selbstverständlich werden sie helfen, immerhin tun sie es für ihre Kinder. Gemein oder gar hinterhältig ist ein solches Vorgehen keineswegs, denn die Eltern sind es doch, die vorgeblich alles besser wissen und können.

Reizthemen sollten Sie bei Besuchen der Eltern tunlichst ausklammern. Verschweigen Sie sie ganz einfach und tragen Sie Sorge dafür, dass das Lehrbuch für den Englischunterricht nicht gerade auf dem Küchentisch liegt. Wenn es um die Kindererziehung geht, dann spielen Sie den Ball einfach ab: Wenn der Nachwuchs sich bei den Großeltern wohlfühlt, wird deren Beziehung gefestigt, und Sie selbst haben einige Stunden Zeit für andere Dinge. Sehen Sie es also positiv! Bahnt sich letztendlich dennoch ein Streit an, sollten Sie souverän und gelassen reagieren. Situationen aus der eigenen Kindheit rufen oftmals längst vergessene Begebenheiten zurück in die Gedankenwelt der Eltern: „Wisst Ihr noch, dass Ihr mir damals untersagt hattet, mit Julian zu spielen, weil er nur auf die Hauptschule ging? Heute leitet er den Tennisclub, der in die Verbandsliga aufgestiegen ist.“ Nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass nicht alles schwarz oder weiß gesehen werden darf. Darüber hinaus aber auch, dass Irren menschlich ist und sich verquere Ansichten bisweilen ganz von alleine revidieren.

Freundlichkeit bestimmt die Atmosphäre. Die ungeliebte Schwiegermutter mit einem Blumenstrauß zu empfangen, mag zwar den Schwiegersohn erst einmal Überwindung kosten, wenn es aber den lieben Frieden fördert, bricht sich der Gemahl keinen Zacken aus der Krone. Mehr noch: Verglichen mit der puren Ablehnung vermag eine solch nette Geste manchmal den Weg in ein neues Zeitalter ebnen. Ein schöneres allemal.

Die Mutter meines Mannes ist ein Unikum. Nach dem Tod ihres Mannes lebt sie alleine in ihrem großen Haus. Nur selten kündigt sich Besuch an. Dass sie fast ausschließlich von sich selbst erzählt, ist eine Marotte, die ihr nicht mehr auszutreiben ist. Die Gespräche mit ihr sind deshalb nur bedingt erquicklich. Vor vier Jahren wurde unsere Tochter Johanna geboren. Ihre Lieblingsenkelin. Seit Johannas erstem Geburtstag besuchen wir die Einsiedlerin nun jeden Sonntag. Jedes Mal klopft Johanna voller Vorfreude an die Hintertür, bis Oma endlich öffnet. Die beiden essen gemeinsam zu Mittag, gehen auf den Reiterhof oder auf den Spielplatz. In der Zwischenzeit gönnen wir uns einen Saunabesuch. Wenn wir nach drei Stunden vollends ausgeruht zurückkehren, hat unsere Tochter alles im Griff: Manchmal ist Oma mit einem Seil an einen Stuhl gefesselt, ein anderes Mal hält sich Johanna in einer Höhle, die Oma aus Decken gebaut hat, versteckt. Jedes Mal aber freut sich die Kleine ein Loch in den Bauch, wenn wir uns wiedersehen.

Beim gemeinsamen Kaffeetrinken berichtet meine Schwiegermutter dann einzig und allein über all das, was sie mit Johanna erlebt hat. Und dann lacht sie. Ist das nicht schön?

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