Entspannung und Geist

In der Seele verborgen

Eine Therapie als Problemlöser

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Es ist schummrig in dem kleinen Raum. Im Hintergrund vernehme ich eine mir unbekannte Musik, die das abgedunkelte Ambiente geheimnisvoll erscheinen lässt. Geheimnisvoll ist überhaupt alles, was hier in diesem Zimmer mit mir geschieht und geschehen wird, weil ich selbst – im Mittelpunkt stehend – das Geheimnis bin. Genauer gesagt liegt es irgendwo tief in meinem Inneren verborgen, darauf wartend, gelüftet zu werden.

Auf einem schmalen Bettchen liegend höre ich nach ein paar Augenblicken die ersten Worte des Therapeuten, einem stämmigen Mittfünfziger mit Zwirbelbart, dem ich bedingungslos einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Mit sanfter Stimme entführt er mich in einen Wald, durch den ich wandele. Recht schnell tauche ich in eine Welt ab, die einzig von meinen Gedanken beherrscht wird. Am Ende des Waldes angelangt, überquere ich eine sattgrüne Wiese, bis hin zu einer Treppe, die hinab führt. Fast schlafe ich und träume halbwach.

Fast ergebe ich mich und lausche den Worten, die mich leiten. Die Treppe mündet in einen Raum, an dessen Stirnseite sich drei Türen befinden. Eine von ihnen gilt es zu öffnen. Nun kommen meine Worte ins Spiel der Gedanken. Ich wähle die linke. Weiter geht es und noch weiter. Ein traumhafter Dialog entsteht, verklingt sogleich, um einen Moment später aufs Neue zu beginnen. Der Weg ist lang. Für eine Woche habe ich mein Hotelzimmer gebucht. Die Sitzungen finden täglich statt. Tag für Tag, Gedanke um Gedanke nähern wir uns dem Ziel.

Rückblick. Das Unheil hatte sich angekündigt: Den Belastungen meines Arbeitsalltags war ich schon lange nicht mehr gewachsen. Irgendwie wuchs mir alles über den Kopf. Erst war es ein schleichender Prozess. Ich war fest davon überzeugt, dass ich alles wieder in den Griff bekommen würde. Fehlanzeige. Mit jedem Tag steigerte sich mein Unwohlsein. Erst ließ ich mich krankschreiben, für eine Woche. ‚Du brauchst einfach etwas Ruhe, dann wirst du schon wieder Kraft schöpfen‘, redete ich mir ein. Wieder Fehlanzeige. Zum Schluss begann ich zu zittern, wenn ich auch nur ans Büro dachte.

Nacht für Nacht quälten mich seltsame Träume: Einmal fuhr ich mit dem Fahrrad eine steile Straße hinauf. Erst gelang es mir mühelos. Doch dann geriet ich ins Stocken. So sehr ich mich auch anstrengte, vermochte ich es nicht, die Steigung zu überwinden. Ein anderes Mal lief ich dieselbe Straße hinauf und bewegte mich schließlich keinen Zentimeter mehr von der Stelle.

Am 12. Juli des vergangenen Jahres ereilte mich das Schicksal. Während eines Telefongesprächs brach ich im Büro zusammen. Es war nur ein kleiner Kollaps, doch eben dieser genügte, mich ins Krankenhaus einweisen zu lassen. Alle Welt dachte an das Burnout-Syndrom, denn rein organisch war alles in bester Ordnung. Die Klinik empfahl mir weitere Untersuchungen bei Fachärzten.

Durch einen Zufall erfuhr ich von alternativen Behandlungsmethoden, denen ich spontan keine Bedeutung beimaß. Erst als meine Beschwerden auch durch die Ruhe, die mir verordnet wurde, nicht abklangen, entschloss ich mich, das Wagnis einzugehen.

Ausblick. Bereits beim Vorgespräch mit meinem Therapeuten (dem besagten Mittfünfziger) fühlte ich eine spürbare Erleichterung:„Vor allem geht es darum, die inneren Bilder, die mitunter verschlüsselt in uns versteckt sind, zu Tage zu fördern. Sie können alles nur Erdenkliche in sich verbergen. Meist jedoch sind es Ereignisse aus unserem Leben, die wir nicht ausreichend verarbeitet haben. Oftmals deshalb, weil wir nicht mehr daran erinnert werden wollen (sie also totschweigen), oder aber, weil wir einem solchen Ereignis keine große Bedeutung beimessen. Ein sehr strenger Vater ist ein gutes Beispiel. Damals machte uns seine Strenge zu schaffen, – heute spielt sie für uns lediglich in unseren Erinnerungen eine (zumeist) unbedeutende Rolle.

Da diese frühere Belastung jedoch niemals eine Aufarbeitung oder sagen wir besser einen Abschluss gefunden hat, schlummert sie nach wie vor in unserem Gehirn, in unserer Seele. Erfolgt nun im Späteren durch einen bestimmten Auslöser (das kann so ziemlich jede Situation sein) eine Art innerer Nadelstich, so gewinnt das damalige Problem – ohne dass wir es bemerken – an Dominanz. Schlimmer noch: Es beeinflusst unser Denken und Handeln und führt somit zu Reaktionen, die ohne das Erlebnis aus der Kindheit ganz anders ausfallen würden. Bemerkt sei, dass wir uns dann unser eigenes Verhalten bisweilen nicht so recht erklären können, eben weil wir dessen Ursache nicht unmittelbar erkennen.

Wichtiger aber ist in diesem Zusammenhang die Bereitschaft, überhaupt eine mögliche Verknüpfung als Ursache für das bestehende Problem anzusehen, denn manch einer schließt eine solche Korrelation kategorisch aus. Allein schon deshalb, weil all jene, die sich anmaßen, in uns hineinschauen zu können, vorschnell mit Wunderheilern, Esoterikern und was es sonst noch so gibt in Verbindung gebracht werden. Dabei ist der analytische Prozess, der dazu führt, Verborgenes und Belastendes zu erkennen und heilend aufzuarbeiten, nichts anderes als eine Hilfestellung, die – bei einem optimalen Verlauf – ein für alle Male Ruhe schafft.“

Der Tag meiner Abreise ist gekommen. Shake-hands und ein tiefer Blick in die Augen läuten die Heimfahrt ein. Wie verwandelt setze ich mich ins Auto und denke auf der Zwei-Stunden-Fahrt über das Erlebte nach: Ich hätte nie geglaubt, dass allein ein Dutzend Gespräche in diesem schummrigen Raum zu einer Lösung meines Problems hätte führen können. Dennoch: Ich hatte es gehofft. Mittlerweile arbeite ich wieder in meinem alten Job und bin genauso belastbar wie in alten Zeiten.

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