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Auf in den Ring!

Wie Sie Stress wirksam bekämpfen

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Kennen Sie das? Die Arbeit steht Ihnen bis zum Hals, Ihre Vorgesetzten setzen Sie ständig unter Druck und immer öfter wächst Ihnen alles über den Kopf. Die Folge: Stress pur. Damit Sie den Herausforderungen gewachsen sind und endlich wieder ruhig schlafen können, sollten Sie den Anspannungen, die Ihnen die letzten Nerven rauben, Kontra geben. Nicht, wie Sie jetzt vielleicht denken, durch Yoga oder Meditation. Nein, unser Anti-Stress-Programm zielt genau auf das Gegenteil ab.

Stress entsteht im Kopf. Erst schwelt er ruhig im Untergrund. Dann beginnt er zu brodeln. Schließlich, wenn der Moment gekommen ist, bricht er aus. Und dann begräbt er alles, was vorher noch beherrschbar war, unter Schutt und Asche. Stress ist – wie ein Vulkan – ein wahrer Kämpfer. Der einzige Weg, ihm Einhalt zu gebieten, ihn in seine Schranken zu weisen, ist eine Begegnung auf Augenhöhe. „Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht an sich“, sagt Franklin D. Roosevelt so treffend. Und genau nach dieser Maxime sollten Sie vorgehen. Wenn Sie selbst das Zeug dazu hätten, ein Vulkan zu sein, statt sich ständig abwartend und duldend aufzureiben, dann versetzten Sie sich in die Lage, dem unberechenbaren Ungetüm Paroli zu bieten. Und dann brechen Sie aus – so oder so.

Der Grundgedanke, Stress mit sogenanntem Gegen-Stress zu bekämpfen, ist kaum verbreitet. Zwar existieren wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit eines solchen Vorgehens bestätigen –, in der Praxis tendieren die meisten Therapeuten jedoch eher dazu, dem Stress mit einer Phase der Beruhigung zu begegnen. Deshalb stehen auch vielfältige Meditationspraktiken bei der Stressbewältigung im Fokus. Wer sich aufreibt, so die These, der erfährt durch die nachfolgende (verordnete) Ruhe eine Art Gegengewicht, das die Balance wieder herstellt. Von vielen Stress-Patienten wird diese Art der Therapie tatsächlich als stressmindernd empfunden, was den Erfolg dieser Behandlungsform untermauert. Betrachtet man aber das Wesen der Stress-Entstehung und die Versuche, sie auf konventionelle Weise in Schach zu halten etwas genauer, so wird schnell deutlich, dass dadurch das Übel nur allzu selten an der Wurzel gepackt wird. Die Gründe hierfür sind gesellschaftlicher und sozialer Natur; sie haben sich über viele Jahre in unser Denken und Handeln eingebrannt und sind somit ein Teil unserer ethisch-moralischen Grundwerte geworden.

Sich zu streiten – aus welchem Grund auch immer – gilt heutzutage als etwas ‚Unfeines‘. Sogleich tritt der Schlichter auf den Plan, um zu erkunden, ob die Situation durch Versuche einer Annäherung der unterschiedlichen Meinungen entschärft werden könnte. Da schluckt der eine – und der andere auch. Und in vielen Fällen kehrt darauf hin Ruhe ein. Einzig um des lieben Friedens willen. Dass jedoch einer der Kontrahenten zumindest eine Kröte schlucken musste, um diesen Frieden zu wahren, wird bei der Findung eines Kompromisses nicht bedacht. Der Leidtragende, nämlich derjenige, der die größeren Zugeständnisse erbracht hat, verlässt das Duell mit gemischten Gefühlen, mitunter auch mit einer gehörigen Portion Unzufriedenheit. Und er schluckt seinen Ärger – gleich dem Stress – einfach herunter.

Wir leben in einer zivilisierten Welt. Doch mit unserer Streitkultur ist es nicht zum Besten bestellt, denn nach wie vor gilt – wie beim amerikanischen Poker – das Prinzip: ‚Wer am meisten hatte, gewinnt‘. Dass sich aus dieser Formel Dissonanzen ableiten lassen, ist nur folgerichtig. Und dass dabei Stress entsteht, ebenso. Wie aber sollten wir dem Stress begegnen, ohne gleich ausfallend zu werden, wenn er auf uns einprallt? Und wie sollten wir uns verhalten, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen und das Fass überzulaufen droht? Nur die Ruhe zu behalten nagt sowohl am Selbstwertgefühl als auch an unserer Psyche. Vor allem aber staut eine solch devote Haltung Aggressionen an, die auf Dauer kaum noch zu bändigen sind, gerade dann, wenn sie stets aus denselben Situationen herrühren. Wenn dann nicht von Zeit zu Zeit eine Kompensation erfolgt, die die angestauten Aggressionen auf einem erträglichen Level hält, ist der Ausbruch des körpereigenen Vulkans vorprogrammiert.

Luca ist in einem Unternehmen der Telekommunikationsbranche beschäftigt. Die 43-jährige hat sich beharrlich nach oben gearbeitet. Seit eineinhalb Jahren führt sie gut fünfzig Mitarbeiter – Tendenz steigend. „Anfangs“, sagt sie, „hat mir die Arbeit richtig Spaß bereitet. Und ich war erfolgreich. Da ließ die erste Beförderung nicht lange auf sich warten. Und die zweite auch nicht. Selbstverständlich waren die Anforderungen hoch, und nicht nur einmal saß ich noch bis kurz vor Mitternacht im Büro. Viel ausgemacht hat mir das nicht, denn das Arbeitsklima war prima, und auch über das Verhältnis zu meinen Vorgesetzten konnte ich mich nicht beklagen. Schlagartig geändert hat sich die Situation, als ein französischer Konzern das Ruder übernommen hatte. Von jetzt auf gleich fand sich kein Stein auf dem anderen wieder. Jede Woche bestellte und das Controlling zum Rapport und setzte uns unter Druck. Doch so sehr wir uns auch bemühten – wir konnten die Vorgaben nicht erfüllen, weil sie ganz einfach utopisch waren. In dieser Zeit erfuhr ich das erste Mal in meinem Leben, was es bedeutet, dem Stress ausgesetzt zu sein, ohne sich dagegen wehren zu können. Nachts lag ich wach und dachte darüber nach, wie sich die missliche Lage entschärfen ließe – ohne Ergebnis. Tagsüber war ich gereizt und manchmal nicht ansprechbar. Und nicht nur einmal zog ich es in Erwägung, alles hinter mir zu lassen und mir einen neuen Job zu suchen. Doch ich tat es nicht.“

Der Zufall half Luca auf die Sprünge. Sie erfuhr von einem Anti-Stress-Programm, das ihre Neugierde schürte: Boxen gegen den Stress. Was sich spontan etwas verrückt anhört, ist tatsächlich eine hervorragende Methode, Anspannungen zu lösen und wieder ins psychische Gleichgewicht zu gelangen. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Sie besagen, dass das Programm zwingend in den eigenen vier Wänden durchgeführt werden sollte, also ohne Einflüsse von außen. Und Sie sollten dabei alleine sein.

Alles, was Sie für das Anti-Stress-Programm benötigen, ist ein Boxsack und ein Paar Boxhandschuhe. Der Sack wird mittels eines Seiles in der Decke verankert, so, dass er sich auf der Höhe Ihres Oberkörpers befindet und frei schwingen kann. Am besten geeignet sind entweder ein Kellerraum oder ein Plätzchen auf dem Dachboden. Das Ambiente sollte eine gewisse Ruhe ausstrahlen und keinesfalls in irgendeiner Weise ablenken. Hängen Sie den Boxsack deshalb nicht dorthin, wo Sie aus dem Fenster schauen können. Wie es sonst dort aussieht, ist völlig nebensächlich. Selbst, wenn um Sie herum allerlei Krimskrams liegt, ist’s egal. Ganz wichtig ist hingegen, dass Sie den Raum als eine Art Abwehrzentrum betrachten, in dem Sie sich einzig und allein Ihrer Stressbewältigung widmen. Und jetzt kommt ganz viel Psychologie ins Spiel.

Bis auf ein paar Kleinigkeiten sollten Sie den Ort, an dem Sie sich abreagieren, niemals verändern. Für alle Zeiten sollte er so aussehen, wie am ersten Tag. Hängen Sie keine Bilder auf und verzichten Sie auf Accessoires, die Sie an – was auch immer – erinnern könnten. Neben den Boxhandschuhen sollten Sie eine Kiste Mineralwasser, eine Matte oder ein altes Sofa, auf dem Sie sich ausruhen können, bereitstellen. Hinzu kommt noch die Trainingsbekleidung. Doch Achtung: Hose, Shirt und Schuhe sollten Sie eigens für diesen Anlass neu kaufen, um so ein Zeichen zu setzen. Und nur fürs Training dürfen Sie diese Kleidung tragen, für alle anderen Zwecke ist sie strikt tabu. Sind Sie bereit?

Am Abend nach einem stressigen Tag im Büro oder anderswo kehren Sie nach Hause zurück. Ruhen Sie sich ein wenig aus. Streifen Sie nun Ihre Trainingskleidung über, und begeben Sie sich in den Raum, in dem der Boxsack hängt. Erst einmal sollten Sie über die Erlebnisse des Tages nachdenken. Am besten gelingt dies im Liegen – mit geschlossenen Augen. Reflektieren Sie nun nach und nach die Momente, die Sie am meisten aufgewühlt haben.

Stellen Sie sich, nachdem Sie sich aufgewärmt haben, eine konkrete Situation vor, die Sie aufgeregt hat oder bereits seit längerem aufregt und schlagen Sie zu. Erst etwas sanfter, dann immer stärker. Denken Sie dabei auch an die Personen, die Ihren Stress erzeugt haben und prügeln Sie (bildlich) auf sie ein. Nehmen Sie dabei kein Blatt vor den Mund! Nennen Sie die Verantwortlichen beim Namen und schreien Sie Ihren Frust hinaus! Nach fünf Minuten sollten Sie eine Pause einlegen und etwas trinken. Legen Sie sich aber nicht hin, denn gleich geht’s weiter. Haben Sie sich auf einen Aggressor eingeschossen, dann boxen Sie weiter auf ihn ein. Solange, bis sich eine gewisse Beruhigung einstellt. Nach maximal zwanzig Minuten sollten Sie Schluss machen. Am Ende eine jeden Arbeitstages empfiehlt es sich, das Training zu wiederholen. Im Normalfall stellt sich bereits nach einer Woche eine Nivellierung des Stresspegels ein. Wenn Sie – nach einiger Zeit – das Gefühl haben, dass sich der ‚Kern-Stress‘ gelegt hat, dann können Sie die Boxhandschuhe ruhig für eine Weile an den Nagel hängen und erst wieder mit dem Abbau Ihrer Aggressionen beginnen, wenn es erneut vonnöten ist.

Abschließend noch einige Anmerkungen. Es kann durchaus sein, dass dieses Anti-Stress-Programm für Sie nicht in Frage kommt. Zum einen kann dies daran liegen, dass Ihnen eher die seichten Methoden der Meditation Hilfe verschaffen, weil sie nicht in das Muster des Prinzips ‚Aggressionen verursachen Gegen-Aggressionen‘ passen. Zum anderen kann es sein, dass Sie ein gewisses Vorurteil dem Boxen gegenüber hegen. Das ist nur allzu verständlich, denn immerhin hängt diese Sportart – so meine ich – eng mit dem Ausüben von Gewalt zusammen. Sei’s drum: Ein Versuch könnte es wert sein. Vielleicht probieren Sie’s erst einmal in einer Probestunde im Fitnessstudio aus.

Und noch etwas zum selben Thema: Der Stress, den Sie empfinden, ist dadurch entstanden, dass kontinuierlich etwas auf Sie eingeprallt ist, das Sie nicht so ohne weiteres ‚verarbeiten‘ können. Phrasen wie „ich muss mich erst einmal abreagieren“, zeugen davon. Dieses Abreagieren geht fast automatisch mit einer Gewaltausübung einher. Sei es beim Zuschlagen einer Tür, beim Auf-den-Tisch-hauen oder gar beim Holzhacken. Nach diesen ‚Taten‘ fühlen wir uns meist freier, gelöster und auch zufriedener. Die Mittel waren also zweckdienlich. Und um nichts anderes geht es. Auf einen Vorgesetzten via Boxsack einzuschlagen mag zwar moralisch verwerflich anmuten, doch wie ist dieser denn mit Ihnen umgesprungen, als er einzig seine Ziele verfolgte? Waren nicht auch Sie sein persönlicher Boxsack, dem er – ganz nach Belieben – zwei, drei linke Haken versetzte?

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