Frauengespräche

Geld macht nicht glücklich

Kurzgeschichte

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Gemeinsam saßen wir am Frühstückstisch. Die Sonne schien wie gemalt auf unsere kleine Tafel, die wir wie jeden Morgen liebevoll hergerichtet hatten. Arvid, mein Mann, hatte wie gewohnt an der Stirnseite des Tisches Platz genommen, ihm gegenüber saßen Töchterchen Sophie und natürlich ich. Eigentlich war alles wie immer an diesem Tag im Juni, doch eine ganz besondere Begebenheit ließ die Eltern heute triumphieren: Sophie war es zum ersten Mal gelungen, ihr Frühstücksei ohne fremde Hilfe aufzupellen, obwohl dieses noch recht heiß war. Applaus von beiden Seiten. Dass sie schließlich nicht einmal das halbe Ei verzehrte und sich stattdessen vorschnell dem Erdbeerjoghurt zuwandte, nahmen wir billigend in Kauf, hatte sie doch bereits Monate damit verbracht, zu erlernen, den Eierlöffel so in der Hand zu halten, dass ihr das Knacken der Schale auch nur in Ansätzen gelang.

Arvid war Leiter einer Bankfiliale in einer Kleinstadt nahe der dänischen Grenze, dort wo wir lebten und glücklich waren. Hier oben ist alles etwas rauher. Die Menschen nehmen kein Blatt vor den Mund und verteidigen Haus und Hof wie in alten Zeiten. Aber ehrlich sind sie, grundehrlich. Und genau das wurde Arvid damals zum Verhängnis.

Gut sah er aus, der Mittdreißiger, der eine recht steile Karriere hinter sich hatte. Studium, Anstellung, Beförderung und im vergangenen Jahr schließlich Filialleiter. Das konnte sich sehen lassen, und wenn ich ehrlich bin, imponierte mir sein Werdegang. Das erste Date, der erste Kuss. Es kam, wie es kommen musste. Kurz nach unserer Vermählung wurde Sophie geboren, unser Sonnenschein. Wir kauften ein Haus mit Garten und ließen es uns gutgehen. Geld war niemals ein Problem in unserer Beziehung, ja, man konnte behaupten, dass wir nicht einmal darüber redeten.

Es war bereits Juli. Anders als gewohnt kehrte mein Mann an zwei Tagen der Woche später heim als zuvor. Als ich ihn darauf ansprach, erklärte er die Situation recht beiläufig damit, dass er Überstunden leisten müsse, weil das Kreditgeschäft so gut lief. Eine Zeitlang gab ich mich mit dieser Erklärung zufrieden, drängte ihn aber ständig, endlich wieder mehr Zeit für uns zu investieren, denn die gemeinsamen Abende waren uns stets sehr wichtig gewesen. Es änderte sich nichts. Im Gegenteil: Wenn Arvid – meist kurz vor Mitternacht – nach Hause kam, war er gereizt und hatte kaum noch Zeit für ein vernünftiges Gespräch. Ohne Zweifel: Arvid hatte sich verändert.

An einem regnerischen Tag im August, beschloss ich, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Immer dienstags und donnerstags kehrte mein Mann erst in der Nacht heim. Heute war einer dieser Dienstage. Unter einem Vorwand bat ich meine Mutter, Sophie zu Bett zu bringen und fuhr zur Bankfiliale. Ich parkte mein Auto etwas abseits und ging zu Fuß zur Tiefgarage, wo Arvids Auto gleich am Eingang abgestellt war.

17 Uhr, 18 Uhr, plötzlich war er da! Am Auto angelangt, entledigte er sich seiner Krawatte und stieg ein. Wie ein Detektiv folgte ich ihm, sorgsam darauf achtend, dass er mich nicht entdeckte. Quer durch die halbe Stadt verlief die Jagd, bis sie schließlich auf einem Hinterhof ein Ende fand. In einem unscheinbaren Hauseingang sah ich ihn verschwinden. Ich schlich ihm nach, doch die Tür war fest verriegelt. Nur irgendwo oben waren die Fenster hell erleuchtet. Plötzlich stieg Angst in mir auf. Ich fragte mich, was mein Mann dort verloren hatte. „Er hat eine Geliebte“, war das erste, was mir in den Kopf schoss. „Vielleicht besucht er eine Prostituierte“, war mein nächster Gedanke. So ließen sich auch die lieblose Umgebung und der Hinterhof erklären. Noch während ich an der Tür stand, begannen Tränen über meine Wannen zu rinnen. „Ist jetzt alles aus?“ fragte ich mich und weinte. „Was fehlt ihm denn in unserer Beziehung?“ fragte ich weiter, doch so sehr ich auch nachdachte, fiel mir kein einziger plausibler Grund ein.

Ohne Arvid auf meine Beobachtung anzusprechen, lebten wir einige Tage nebeneinander her. Ich traute mich nicht, ihn mit der Situation zu konfrontieren und so wechselten wir nur wenige Worte miteinander. Doch konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass er bereits ahnte, dass ich einen Verdacht geschöpft hatte.

Am darauffolgenden Dienstag kehrte er pünktlich von der Arbeit heim. Soeben hatte ich Sophie zu Bett gebracht. Arvid saß im Wohnzimmer und las Zeitung. Anders als sonst wirkte er nervös. Auf dem Tisch flackerte eine Kerze. Urplötzlich ein lauter Knall! Scherben splitterten. Ich schrie! Arvid erschrak. Dann Ruhe. Mit zitternder Stimme fuhr ich ihn an: „Was geht hier vor sich?“ Arvid erhob sich. „Jemand hat eine Scheibe eingeworfen“, resümierte er sichtlich geschockt. Dann überlegte er: „Wahrscheinlich ein Dumme-Jungen-Streich.“ „Wir sollten die Polizei rufen“, wandte ich ein, doch er versuchte, mich zu beruhigen: „Wir lassen die Rollläden hinunter und gleich morgen rufe ich den Glaser an.“ Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.

Die halbe Nacht lag ich wach. „Was hat das alles zu bedeuten?“ fragte ich mich, doch besaß ich nicht den Mut, gegen Arvid in irgendeiner Weise einen Vorwurf zu erheben. Zu sehr fürchtete ich mich davor, dass es am Ende für alles eine ganz einfache Erklärung gab, die mein Misstrauen mir nichts, dir nichts entschärfen würde und mich selbst als einen Intriganten dastehen ließ. Was hatte ich schon in der Hand? Arvid war nachweislich nur ein einziges Mal hinter der verriegelten Tür verschwunden. Wohlmöglich fand dort ein Gespräch mit einem seiner Kunden statt. ‚Hinter verriegelten Türen‘, das sagt man doch so, oder? Und der Vorfall mit der eingeworfenen Fensterscheibe besagte erst einmal gar nichts. Ein Dumme-Jungen-Streich eben. Nach und nach fand ich zur Ruhe zurück. Doch an einen reinen Zufall wollte ich partout nicht glauben.

„Würdest du das für mich tun?“ fragte ich Stefan und er nickte. „Gib mir ein paar Tage Zeit“. Stefan war ein alter Freund, der sich mal hier, mal da verdingte. Einen festen Job hatte er meines Wissens niemals gehabt. Ich hatte ihn eingeweiht. Er sollte in meinem Auftrag herausfinden, was es mit dem Hinterhof, den mein Mann aufgesucht hatte, auf sich hatte.

Drei Tage später trafen wir uns in einem Café. „Das Gebäude gehört dem Meißner“, begann Stefan. „Dem Immobilienmakler?“ wollte ich wissen. „Ja, genau dem.“ Dann fuhr er fort: „Er trifft sich dort zweimal die Woche mit irgendwelchen obskuren Typen. Einem von ihnen – ich kenne ihn persönlich – werden Kontakte zur Drogenmafia zur Last gelegt.“ „Doch was Arvid dort zu suchen?“ fragte ich entsetzt. „Gib mir ein wenig Zeit. Ich werde es schon herausfinden“, erwiderte Stefan und trank den letzten Schluck Kaffee.

In den folgenden Tagen fanden Arvid und ich wieder zueinander. Zwar war es nicht die gewohnte Harmonie, die ich so sehr liebte, die zurückgekehrt war, zumindest aber ein kleiner Hauch davon. Am Wochenende unternahmen wir einen Ausflug. Drachensteigenlassen an der Nordseeküste. Sophie strahlte nur so vor Glück. Ein Riesenspaß und auf einmal war alles wieder so wie früher!

Das zweite Treffen mit Stefan riss alles wieder zurück und erstickte die Harmonie wie ein Gewitterregen, das das Feuer löscht: „Dein Mann ist in illegale Finanzierungen verwickelt“, sagte mein Freund ruhig, meine Reaktion abwartend. „Woher willst du das wissen?“ fragte ich ungläubig. „Schau hier, ich habe es schwarz auf weiß.“ Er kramte einige Dokumente hervor, die den Vorwurf belegen sollten. Dann sagte er etwas, was mich zutiefst erschütterte: „Der Meißner hat deinem Mann damals dazu verholfen, Filialleiter zu werden. Nun hat er den Spieß umgedreht. Die Finanzierung hat Arvid ohne Absprache mit der Zentrale bewilligt. Es geht um zwölf Millionen Euro. Die Hälfte des Geldes ist bereits ausgezahlt worden. Nun wartet Meißner auf den Rest, doch Arvid sind die Hände gebunden, weil das Geschäft aufgeflogen ist.“ „Und wie hat die Zentrale reagiert?“ wollte ich wissen. „Sie hat ihn gefeuert, bereits vor einer Woche.“

Am Abend vernahm ich ein Kratzen an unserer Haustüre. „Ein Hund, eine Katze“, dachte ich und ging hin, die Türe zu öffnen. Ein schwerer Körper, blutbefleckt, stürzte hinein. „Ruf die Polizei!“ befahl Arvid.

Kurz darauf musste sich mein Mann vor Gericht verantworten. Für drei Jahre wurde ihm die Freiheit entzogen. Unser Haus wurde zwangsversteigert. Sophie und ich leben nun in einer kleinen Mietwohnung. Anfangs fragte sie oft nach ihrem Vater, doch mittlerweile sind wir beide ganz für uns alleine.

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