Frauengespräche

Wie sag ich’s meiner Freundin?

Typberatung im Bekanntenkreis

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Es ist bereits eine ganze Weile her. Damals traf ich mich mit ein paar Freunden auf einem Bergfest in einem kleinen Städtchen im Weserbergland. Im Verlaufe des Abends lernten wir eine junge Frau kennen. Wenn ich mich recht erinnere, hieß sie Julia. Ich mochte sie spontan, weil sie so lebenslustig war. Zu fortgeschrittener Stunde – wir hatten bereits ein paar Gläser Wein getrunken – kamen wir auf das Thema Haare zu sprechen. Genauer gesagt war ich es, die die Initiative ergriff. „Weißt du“, sagte ich an Julia gerichtet, “wenn dein Pony ein bisschen kürzer wäre, dann stünde dir deine Frisur richtig toll!“

Was dann geschah, werde ich niemals vergessen. „Da gebe ich dir Recht“, erwiderte sie und fuhr sich mit der rechten Hand unter ihren Pony, um ihn anzuheben. Ihr Haaransatz befand sich nur drei, vier Zentimeter oberhalb ihrer Augenbrauen. Augenblicklich zuckte ich zusammen und wäre vor lauter Scham am liebsten im Boden versunken.

Kritik, direkt ins Gesicht gesagt, kann Menschen verletzen. So war es wohl auch in diesem Fall. Doch sollte man stets mit seiner Meinung hinterm Berg halten, wenn einem auffällt, dass etwas anders oder vorteilhafter sein könnte? Auch dann, wenn man konkret danach gefragt wird? Ich meine nein. In jeder Situation ist jedoch vor allem eines wichtig: ganz viel Fingerspitzengefühl!

Du bist nicht gleich ich. Manch einer verträgt Kritik und fordert sie sogar heraus, andere kehren ihr Innerstes nach außen und überwinden sich geradezu, um eine Meinung zu erfahren, die ihnen Klarheit verschafft. Dass die Antworten mitunter rücksichtsvoll sein sollten, versteht sich von selbst, – oder auch nicht. Die Ehrlichkeit hat nun einmal viele Väter.Um zu einer Basis zu gelangen, teilen wir die Empfindsamkeit der Menschen grob in drei Stufen ein: sensibel – normal – unempfindsam.

Der sensible Typ (Typ 1) ist sehr empfindsam. Ebenso wie er sich selbst gibt, verlangt er dies auch von anderen. Er ist meist rücksichtvoll, aber bisweilen trachtet er auch danach, etwas unempfindsamer zu sein, weil ihn seine ureigene Art bereits oft verletzt hat. Manch einer dieser Charaktere fühlt sich aber auch ganz wohl in seiner sensiblen Haut, denn sie kann wie ein Schutzschild wirken, vorausgesetzt ist jedoch, dass ihn der Kritikübende kennt.

Der normale Typ (Typ 2) glaubt tatsächlich, ganz normal zu sein, denn er sieht den Weg, den er beschreitet, als den Königsweg an: weder zu empfindlich, noch zu forsch. Er kann sich gut in das Denken der beiden anderen Typen hineinversetzen, was ihn als einen guten Schlichter auszeichnet. Bisweilen vermisst er aber den Reiz des Extremen, weil sein Normalsein manchmal ganz schön langweilig sein kann, gerade wenn es um Gefühle geht.

Der unempfindsame Typ (Typ 3) ist ein wahrer Haudegen. Entweder ist er in der Tat recht abgebrüht, oder aber er nutzt die Art, so zu sein, als eine künstliche Barriere, um niemanden so recht an sich heranzulassen. Den sensiblen Typus akzeptiert er nur dann, wenn es für ihn darum geht, in der Welt des anderen zu schnuppern.

Wie Sie sehen, ist die Einteilung in die drei Typen zwar – oberflächlich betrachtet – recht anschaulich und auch treffend, – wenn jedoch die vorgebliche Empfindsamkeit oder eben deren Gegenteil lediglich dazu genutzt werden, sich selbst zu schützen, dann gerät die Wahrheitsfindung aus den Fugen. Belassen wir es deshalb, die Charaktere so zu sehen, wie deren Beschreibung es vorgibt: sensibel – normal und unempfindsam und beleuchten wir nun das eigentliche Thema, die Typberatung.

So etwas hat jeder von uns schon einmal erlebt: Eine gute Freundin hat sich ihre Frisur stylen lassen (oder selbst gestylt) und steht nun voller Erwartung vor Ihnen, um Ihr Urteil zu erfahren. Wie reagieren Sie? Moment mal! Sagen Sie besser erst einmal gar nichts, denn das, was Sie sagen, kann stets falsch gesagt oder aber falsch aufgefasst werden. Einige Beispiele gefällig?

1. Die überaus selbstbewusste Tina sieht geradezu hinreißend aus mit ihrer neuen Frisur. Sie antworten (als Typ 3) „Ja, das ist wirklich gut.“ Die Antwort wird lauten: „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?“ wird Tina Ihnen entgegnen. Antworten Sie hingegen als Typ 1: „Das ist wirklich toll, aber ist das nicht etwas zu gewagt?“ wird Tina Ihnen entgegnen: „Für ein Mauerblümchen wie dich ganz bestimmt.“

2. Nun steht Nadine (Typ 1) vor Ihnen. Sie hat ihr langes Haar zu einem Zopf geflochten, der sie recht unvorteilhaft erscheinen lässt (denken Sie als Typ 2). Ihr Kommentar: „Das sieht doch ganz schön aus.“ Sie billigen in diesem Moment, dass Nadine unter die Leute geht und sich blamiert. Alternative: „Das steht dir überhaupt nicht.“ „Schon gut“, lautet die Antwort, „du kannst alleine auf die Party gehen.“

Natürlich mögen die beiden Beispiele etwas übertrieben geschildert sein, von der Hand zu weisen sind solche Situationen aber nicht. Das Problem, das sich stellt, entsteht dadurch, dass sowohl die Erwartungshaltung derjenigen, die Sie nach Ihrer Meinung fragt als auch Ihre Antworten in zwei voneinander getrennten Denksystemen entstehen, die jeweils rein subjektiv geprägt sind. Die Bestätigung, die diejenige erfährt, der ohnehin klar ist, dass sie top aussieht, ist – wenn man so will – geheuchelt. Ihr Urteil über Nadine hingegen, die sich vollends unsicher ist, wird mit absoluter Glaubwürdigkeit aufgenommen.

Was wäre aber, wenn Sie sich mit Ihrer Einschätzung (das steht dir überhaupt nicht) getäuscht hätten und alle anderen geradezu entzückt wären vom neuen Look? Dann könnte Nadine vermuten, dass Sie ihr nur deshalb davon abgeraten haben, weil Sie selbst auf der Party im Rampenlicht stehen wollen. Ich bleibe dabei, was Sie auch sagen, es wird falsch sein. Es sei denn, Sie sagen es Ihrer besten Freundin, die Sie seit Urzeiten kennen.

Sie sind die anderen. So abstrus es auch klingen mag, Ihre neue Frisur sollte vor allem den anderen gefallen, denn sie sind es, die Ihnen Anerkennung verleihen. Ob sie Ihnen selbst gefällt, ist nicht so wichtig, es sei denn, Sie leben auf einer einsamen Insel.

Und wenn Sie demnächst einmal wieder erfahren möchten, wie gut Ihnen Ihr neuer Look steht, dann geben Sie acht, dass alle drei Typen in ausreichender Zahl versammelt sind, um ein Urteil zu erfahren, das bis in die letzte Instanz seine Gültigkeit behält. Denn Sie sind die anderen!

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