Allgemeines

Das Virus diktiert unseren Zyklus

Gedanken über die Zeit danach

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Wie auch immer sich der so klinisch klingende Erreger Covid-19 seinen Weg in unsere Zivilisation gebahnt haben mag –, eines ist sicher: Diese Pandemie wird unser Leben nachhaltig verändern. Waren wir zu unvorsichtig – zu bedenkenlos? Haben wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigt oder uns gar in einer vollendeten Sicherheit gewogen?

Ohne Zweifel rühren die Todesfälle, die weltweit in die Millionen gehen, unser Mitleid. Und ebenso ohne Zweifel sehnen wir uns alle nach einer gewissen Normalität, die – ginge es nach uns – eher heute als morgen wieder auf dem Plan stehen sollte. ‚Business as usual‘ lautet ein Passus aus der Wirtschaft, der diesen Normalzustand treffend beschreibt. So sehr aber wir uns wünschen, dass all das, was noch folgen wird, so schnell wie möglich der vergesslichen Vergangenheit angehören möge, so sehr wird der Nachhall diesmal nicht ohne Folgen bleiben.

Schon immer haben wir uns darauf verlassen, dass das Unheil – das gravierende im Besonderen – um uns, unsere Lieben und möglichst auch um unser Land einen großen Bogen schlägt. Und immer, ja immer in all den Jahren, gab es tatsächlich keinen Grund, diesem Glauben abzuschwören. Die Seuchen aus dem Mittelalter sind längst besiegt, gegen die meisten Zivilisationskrankheiten wird geimpft, und den letzten Krieg hat wohl niemand von uns noch miterlebt. Doch schwelt nicht in uns allen, schlaftrunken auf dem Bette liegend, bisweilen eine gewisse, wenn auch latente Furcht, alles Mögliche könne geschehen? Wer hat nicht schon einmal daran gedacht, dass unsere Welt durch ein Unglück aus den Fugen geraten könnte?

Nun ist es so, und wir alle müssen in die Zukunft schauen

Kaum jemand hat – noch vor einem Jahr – den Bügel des Einkaufswagens mit einem Feuchttuch sterilisiert, bevor er ihn in den Laden schob, obwohl kaum einer wusste, wer diesen Bügel zuletzt berührt hatte. War es ein an Grippe erkrankter Zeitgenosse? Dann ging alles ganz schnell: Einmal angefasst klebten die Viren an den Händen und lauerten dort so lange, bis wir an der Käsetheke die verführerischen Gouda- oder Emmentaler-Häppchen entdeckt hatten. Mit bloßen Fingern führten wie sie zum Mund – und schon war es passiert!

Viren, so auch das Corona-Virus, breiten sich über die sogenannte Tröpfchen-Infektion aus. Ein leichter Sprühnebel, der durchs Niesen oder Husten verursacht wurde, aber auch ein klitzekleines Tröpfchen des Erregers, das am Einkaufswagen überlebt hat, können Sie infizieren. Im Regelfall – so Ihr Immunsystem denn gewappnet ist – stellt eine Kontamination mit Viren für unseren Körper keine besondere Gefahr dar, denn viele dieser Erreger sind ihm bereits bekannt. Zu besseren Verständnis: Wer einmal durch ein x-beliebiges Virus infiziert worden ist und die Krankheit auskuriert hat, der ist fortan in vielen Fällen gegen ebendieses Virus immun, da die Antikörper das Virus bereits erkannt haben und deshalb sogleich aktiv werden. Werden wir mit einem neuartigen Virus konfrontiert, verhält es sich ganz ähnlich: Nach der Ansteckung, der zumeist ein gut zweiwöchiger Leidensmarathon folgt, der jedoch mit Medikamenten in Schach gehalten werden kann, ist die Infektion überstanden. Grippeschutzimpfungen, die alljährlich im Herbst vom Hausarzt durchgeführt werden, zielen darauf ab, die Antikörper bereits bekannter Erreger in unsern Körper zu schleusen, so dass diese dort sogleich eliminiert werden.

Das Corona-Virus zählt zu den besonders hartnäckigen und gleichsam auch sehr gefährlichen Viren. Zwar übersteht ein gesunder Mensch eine Ansteckung meist ohne größerer Probleme –, für ältere Menschen indes und auch für solche mit gravierenden Vorerkrankungen, kann ein Befall mit dem Virus ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Aus diesem Grunde tragen die Atemschutzmasken gleich zweifach dazu bei, die Ausbreitung des Erregers einzudämmen: Dem Infizierten, der über seine Atemwege das Virus versprüht, versperrt der feine Stoff der Maske den Austritt des Virus‘ ins Freie. Der gesunde Passant, der zufällig gleich neben ihm steht, schützt sich – als zweite Barriere – gegen etwaige Tröpfchen, die die Maske des Erstgenannten passieren ließ. Über dies natürlich auch dann, wenn unser Gegenüber trotz aller Mahnungen keinen Atemschutz trägt.

Und wie geht es weiter?

Sich zu nahe zu treten ist in unserer Gesellschaft gang und gäbe. Wir umarmen uns, wir schütteln uns die Hände, und wir küssen uns als Ritual der Begrüßung. Sollten wir nun, wenn die Corona-Krise endlich abgeebbt sein wird, gänzlich darauf verzichten? Spontan werfe ich ein ‚Nein‘ in den Ring all der Diskussionsrunden, die tagtäglich über unsere Bildschirme flimmern. Gleichsam aber mahne ich auch zur Vorsicht. Den Abstand zu wahren habe ich in meiner Jugendzeit gelernt. „Tritt mir nicht zu nahe!“ ist eine Floskel, die meine Großmutter immer dann äußerte, wenn ich mit einer dunklen Kröte in der Hand, einem grünen Frosch oder was es sonst noch so Ekliges gibt, triumphierend in ihrem Wohnzimmer auftauchte. Würden wir mein Erlebnis in Zusammenhang mit dem Corona-Virus ins Hier und Jetzt projizieren, dann wäre meine Oma mit hoher Wahrscheinlichkeit von Covid-19 verschont geblieben. Doch gilt es nun deshalb für uns, die menschliche Nähe zu meiden, nur, um auf Nummer sicher zu gehen? Ich meine nein. Dennoch beschleicht mich ein Gefühl des Unbehagens.

Vor einigen Tagen habe ich einen Dokumentationsfilm im Fernsehen geschaut. Er handelte vom Ausbruch der Pest in Konstantinopel im vierten Jahrhundert. Innerhalb kürzester Zeit hat der Ausbruch dieser Seuche dort damals fast die gesamte Bevölkerung ausgelöscht. „Was wäre denn gewesen“, so fragte ich mich, als der Film vorüber war, „was wäre denn gewesen, wenn das Virus der Gegenwart schon bei dem geringsten Kontakt mit ihm zum Tode geführt hätte?“ Wäre dann die halbe Menschheit jämmerlich verendet?

Mein Fazit in Bezug auf die ‚Zeit danach‘ fällt eindeutig aus, wenngleich ich es lediglich aus rationalen Beweggründen ziehe: Ich werde fortan den spontanen, direkten Kontakt zu den Mitmenschen, die ich noch nicht kenne, reduzieren. Ebenso wie mein Friseur, der mir seit Monaten bei der Begrüßung seine geballte Faust entgegenstreckt, darauf wartend, dass die meine sie touchieren möge. Und denjenigen, die mir zu nahe treten oder mir gar auf die Pelle rücken, denen werde ich ganz einfach ausweichen. Vielleicht, ja vielleicht werden meine neuen Freundschaften auf diese Weise eine  ganz neue Dimension erreichen.

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