Frauengespräche

Es gibt kein Zurück

Kurzgeschichte

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Jeder Morgen ist anders. Jeder Morgen sehnt sich nach den Träumen der Nacht oder fürchtet sie. Ganz gleich ob es draußen regnet, stürmt oder schneit. Doch manchmal scheint ja auch die Sonne.
Eingegraben in mein Kopfkissen höre ich den Wecker läuten. Schon längst wollte ich mir einen neuen kaufen, weil mich dieses schrille Kreischen jedes Mal aufs Neue fast zu Tode erschreckt, – doch ich tue es nicht. Ich vergesse es. Wohlig umspült das wärmste Wasser meinen Körper. Ich seife mich ein, von oben bis unten. Ich streichle meine Haut mit beiden Händen, gefühlvoll, so wie es sein soll. Ganz kalt am Ende. Der Morgen erwacht.

Johanna ruft nach mir. Ein Stofftier in den kleinen Händen haltend, gräbt sie sich aus Kissen und Decken. Glücklich. „Ich liebe dich!“ denke und fühle ich und schließe sie in meine Arme. „Ach, wenn sie mich nur verstehen würde!“ In der Krümelgruppe geht es hoch her an diesem Morgen. David hat seinen Trecker mitgebracht und Sammy und Joana sind ganz begeistert von der neuen Geschichte aus dem Märchenbuch, die Thomas gerade vorliest. Ich hänge den kleinen Rucksack an den Haken und winke zum Abschied. Eine Träne rinnt über meine Wange. So ist es jeden Morgen.

Den Kopf voller Wehmut trete ich den Heimweg an. Steffi, Beate, Tobi und Robert kommen mir mit ihren Kindern entgegen. Freundlich grüße ich sie, doch ich sehe sie nicht. Ganz umschlungen bin ich, umschlungen von mir selbst. Ich fühle ein Mitleid in mir aufsteigen. Ein Mitleid, das ich verdränge, ein Mitleid, das ich Johanna nicht antun mag.

Die Bäckersfrau fragt: „Wie geht es dir?“ „Die Sonne scheint“, antworte ich und gehe mit den Brötchen meiner Wege. Vorbei am Schuster, dem Haushaltswarengeschäft, dem Bioladen und dem Fleischer sehne ich mich nach Hause, dorthin, wo Johanna noch vor einer knappen Stunde im Bette lag. Mit Stofftieren, Kissen und Decken.

Heiko war mein Herzensbrecher. „Kann man das einfach so sagen?“ „Ja, man kann!“ Es hatte meine Liebe im Sturm erobert, und ich folgte ihm bereitwillig. Eigentlich war er ein richtiger Rüpel und meiner gar nicht würdig, dachte ich oft, auch weil wir so grundverschieden waren. Sein Benehmen ließ oftmals zu wünschen übrig, und besonders gepflegt kam er auch nicht daher. Ich selbst bin da ganz anders: feinfühlig und verletzlich, mitunter gedankenverloren und introvertiert. Aber man sagt ja so schön: „Gegensätze ziehen sich an.“

Als wir uns kennenlernten, glaubte ich nicht im Traum daran, dass ich sein Interesse wecken würde. Doch dann kam alles ganz anders. Nachdem wir eines schönen Tages – es war ein Samstag – in der Stadt zum Brunchen waren, lud er mich zu sich nach Hause ein. Das erste Mal! Ich war richtig perplex, denn zuvor hatten wir viel unserer gemeinsamen Zeit nur in meiner kleinen Wohnung verbracht. Heiko begründete dies stets damit, dass es bei ihm so unordentlich sei. Und mich davon zu überzeugen, war nicht besonders schwer. Bereitwillig folgte ich ihm.

Unverkennbar war er ein Handwerker, ein Typ, der anpacken konnte. Alles, ja fast alles, was sich in seiner Wohnung befand, war robust und grob, geradezu erschien es mir so, als könnte man sich an jeder Ecke stoßen und verletzen. Die Hütte eines im Wald lebenden Holzfällers sah wahrscheinlich genauso aus. Und unordentlich war es natürlich auch. Das Geschirr stapelte sich in der Spüle der Küche, und im Wohnzimmer lag mehr als ein Dutzend leerer Bierdosen achtlos verstreut herum. „Du bist ja ein richtig kleines Schweinchen“, sagte ich scherzhaft. Plötzlich legte er seine Arme auf meine Schulter und schaute mir tief in die Augen. „Ein kleines Schweinchen?“ wiederholte er. Augenblicklich lief ich rot an. Sogleich zog er mir die Bluse vom Leib, ohne zuvor die Knöpfe zu öffnen. Was dann geschah, hätte sich meine kühnste Phantasie nicht ausdenken können.

Fortan trafen wir uns regelmäßig bei ihm, solange, bis ich mich selbst nicht mehr wiedererkannte. Ich starb die tausend Tode der Lust und wollte immer mehr. An einem dieser Tage wurde Johanna gezeugt. Doch als ich Heiko mit dem freudigen Ereignis überraschen wollte, nahm er Reißaus. Ohne eine einzige Spur zu hinterlassen, verschwand er.
Frisch aufgebrühter Kaffee. Ich sitze in meiner Küche und lese Zeitung. Käse auf dem Brötchen. Um zehn Uhr Büro. Das Übliche. Am späten Nachmittag fahre ich zum Kindergarten. Johanna erkennt mich bereits von weitem und torkelt voller Freude auf mich zu. Ach, wie sehr ich sie liebe!

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